Digitalisierung in der Wohnungswirtschaft
Kennen Sie Leverton oder nuki? Ist Ihnen HUME VALUATE ein Begriff? Wenn ja, dann gehören Sie zu den Vorreitern in der Immobilienbranche. Nach Fintech und Insurtech steht mittlerweile auch die Immobilienbranche im Fokus der Digitalisierung. In Branchenkreisen wird viel über den Trend zur Digitalisierung und Proptech diskutiert.
Digitalisierung – Vom Buzzword zum Kulturwandel
Jeder spricht über Digitalisierung und gefühlt jeden Tag veröffentlichen Konzerne wie Siemens oder Volkswagen neue Strategien zur Digitalisierung. Doch was bedeutet Digitalisierung eigentlich? Eins Vorneweg: Digitalisierung bedeutet nicht nur den Einsatz digitaler Medien. Die Digitalisierung hat viele Wirkungspunkte (vgl. Abb. 1) und bedarf daher einer umfassenden Analyse. Die deutschen Wohnungsunternehmen sind zu 92 % von der Notwendigkeit der Digitalisierung der Wohnungswirtschaft überzeugt. In diesem Zusammenhang haben bereits 72 % der Wohnungsunternehmen interne Überlegungen zu einem digitalen Geschäftsmodell, das über das Kerngeschäft hinaus geht, angestellt.1
Lediglich 31 % der Wohnungsunternehmen verfügt über eine digitale Grundstrategie für alle Unternehmensbereiche.3 Somit laufen Wohnungsunternehmen Gefahr in vielen Themengebieten den Anschluss an aktuelle gesellschaftliche und technische Entwicklungen zu verlieren. Um dies zu vermeiden ist ein weiterer Ausbau der Digitalisierung in unterschiedlichen Unternehmensfeldern nötig. Die Investitionstätigkeit klassischer immobilienwirtschaftlicher Unternehmen im Bereich Digitalisierung beträgt aktuell im Durchschnitt lediglich 5,5 % des Jahresumsatzes. Bei höheren Umsatzzahlen werden tendenziell abnehmende Umsatzanteile in die Digitalisierung investiert.4 Zum anderen haben Wohnungsunternehmen auf Grund des gering ausgeprägten Digitalisierungsgrades ein erhebliches Potenzial, sowohl auf Kosten- als auch Einnahmeseite.
Betriebliche Optimierung
Aus unternehmerischer Sicht bedeutet Digitalisierung im ersten Schritt die Veränderung und Optimierung bestehender Unternehmensprozesse durch den Einsatz innovativer Anwendungssysteme (Software, Hardware). Jedes Fax, jeder Aktenordner und jeder per Post versandte Brief sind zumindest technisch heute obsolet. Es gibt Situationen, in denen an diesen analogen Wegen nichts vorbeiführt. Diese gilt es zu identifizieren und zu minimieren. In allen anderen Situationen macht eine konsequente Digitalisierung die Arbeitsabläufe nicht nur erheblich leichter, sondern auch transparenter. Eine digitale Mieterakte, die per Suchfunktion durchsucht werden kann, deren Lesbarkeit nicht an der Handschrift der Beteiligten scheitert, die nicht physisch im Archiv gelagert und gesucht werden muss, bietet allen, die darauf zugreifen müssen, viele Vorteile. Nach diesem Leitbild lassen sich viele interne Arbeitsvorgänge neu denken, was den Beteiligten die tägliche Arbeit spürbar erleichtert und die Organisation insgesamt transparenter und besser steuerbar macht. Auch die kaufmännische und technische Betreuung bietet große Potenziale für die Digitalisierung. Mieteranfragen (z.B. Schadensmeldungen) können digital erfasst und bearbeitet werden. Letztlich kann so die gesamte Miethistorie, von der ersten Besichtigung bis zur Nebenkostenabrechnung vollständig digital abgewickelt werden. Schließlich lassen sich auch alle internen Geschäftsprozesse digitalisieren, vom Rechnungswesen über den Einkauf bis zum Personalmanagement.
Damit wird deutlich, dass Digitalisierung eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den unternehmerischen Prozessen und der Unternehmenskultur erfordert. Die überwiegende Anzahl der Wohnungsunternehmen steht noch am Anfang der Digitalisierung. Daher gilt es zunächst alle auf Papier ablaufenden Geschäftsprozesse in die digitale Welt zu heben und dadurch schneller, effizienter und komfortabler abzubilden. Dies betrifft sämtliche Aspekte der Bewirtschaftung einer Wohnimmobilie.
Intelligentes Gebäude
Durch den Einsatz innovativer Technologie lassen sich intelligente Systeme schaffen, die eine Optimierung von Bau und Gebäudebewirtschaftung ermöglichen. Die Themenbreite reicht von Steigerung der Energieeffizienz durch Einsatz eines Smart Grids als Bestandteil eines intelligenten Stromnetzes bis hin zu Smart Home-/Ambient Assisted Living (AAL) Systemen, die den Alltag der Bewohner erleichtern und zusätzlichen Wohnkomfort schaffen. AAL-Systeme ermöglichen es beispielsweise behinderten oder betagten Menschen selbstständig in ihrer gewohnten Umgebung zu leben. Laut einer Studie des Berliner Instituts für Sozialforschung würden 58% der Seniorinnen und 37 % der Senioren AAL-Systeme nutzen, um weiterhin selbstständig wohnen zu können.5 Die Systemkomponenten unterstützen die Alltagsabläufe der Bewohner (z.B. Kochen, nächtlicher Toilettengang) und bieten gleichzeitig Sicherheit rund um die Uhr für die Nutzer sowie die Angehörigen. Eventuelle Gefahrensituationen werden durch Abweichungen vom normalen Tagesablauf (ohne Notruffinger und ohne Kameras) erkannt und an Dritte (z.B. Pflegekräfte) übermittelt.
Individualisiertes Wohnen
Die Digitalisierung verändert grundlegend die Gewohnheiten und Bedürfnisse der Mieter, wodurch die bestehende Lebens- und Arbeitsumgebung in Frage gestellt wird. Innovative Mietmodelle, die Wohnen als Dienstleistung begreifen, werden die klassische Beziehung zwischen Mieter und Vermieter modifizieren. Zukünftig kann beispielsweise der Mietvertrag mit einem Dienstleister geschlossen werden, der für den Mieter weitere Aufgaben (z.B. Wohnungssuche, Umzugsplanung, Vermietung…) übernimmt. Von den klassischen Immobilienunternehmen sehen 56 % das Internet der Dinge im Bereich der digitalen Technologien als zukünftigen Trend an.6 Dieses spielt vor allem für das individualisierte Wohnen eine Rolle, da es Gegenstände des alltäglichen Lebens durch Nutzung von Mikroelektronik stärker in das Umfeld der Bewohner einbindet. Durch die Vernetzung unterschiedlicher Gegenstände können auch wichtige Daten über die Nutzer gewonnen werden. Für das Internet der Dinge ist eine hochentwickelte Netzinfrastruktur notwendig, die in entsprechender Qualität in den Gebäuden implementiert werden muss.
Neue Kundenansprache
Aktuell betreiben 98 % der Wohnungsunternehmen eine eigene Webseite, 22 % nutzen zur Kommunikation einen E-Mail-Newsletter und lediglich 5 % eine eigene App. Keines der immobilienwirtschaftlichen Unternehmen nutzt einen eigenen Blog.7 Auch Mietern gegenüber bietet die Digitalisierung Chancen, schneller und effizienter in Kontakt zu treten und, aus Sicht der Wohnungswirtschaft, weitere Erlöspotenziale zu erschließen. Mietern kann eine Vielzahl von Zusatzleistungen geboten werden, die in aller erster Linie den Mietern das Leben leichter machen, an denen die Wohnungswirtschaft zum Teil aber auch mit einem Affiliate-Modell wirtschaftlich partizipieren kann.
Einerseits können Community-Services angeboten werden: Das alte schwarze Brett kann digitalisiert werden und dadurch eine Vielzahl zusätzlicher und aktueller Informationen anbieten: Vom Flohmarkt um die Ecke bis hin zu Aktionen in der Kita.
Andererseits kann die Wohnungswirtschaft Mietern konkrete Angebote von Unternehmen in der Nachbarschaft machen. Ein neues Restaurant eröffnet und möchte sich den Kunden vorstellen. Ein Pflegedienst in der Nachbarschaft möchte Senioren das Leben leichter machen. Diese und ähnliche Services können den Mietern z.B. mittels Smartphone-App vorgestellt werden. Für ältere Mieter können Vandalismus-resistente Computerterminals zur Verfügung gestellt werden. Hier ließe sich auch seitens des Unternehmens ein Affiliate-Modell einführen, um zusätzliche Erlöspotenziale zu realisieren.
Fazit: Wohnungsunternehmen sollten ihr digitales Potenzial nutzen
Dieser kurze Überblick ermöglicht zwei Feststellungen: Zum einen sind Wohnungsunternehmen bislang nicht ausreichend auf die digitale Zukunft vorbereitet, obwohl die Wohnung (neben dem Arbeitsplatz) zum Mittelpunkt unserer digitalen Gesellschaft gehört. Diese Herausforderungen können gemeistert werden. Erforderlich ist hierzu ein klares Bekenntnis und der Wille zur Umsetzung nachhaltiger Digitalisierungsstrategien. So können Immobilienunternehmen zu Vorreitern werden.
Sollten Sie Fragen oder Anregungen zum Artikel haben oder sich generell für das Thema Digitalisierung der Immobilienwirtschaft interessieren, können Sie uns gerne kontaktieren.
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Dr. Mathias Hain
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1 Vgl. DMK (2015), S. 14.
2 Bölting et al. (2016), S. 8.
3 Vgl. ebd., S. 14.
4 Vgl. Scheidecker et al. (2016), S. 11.
5 Vgl. Krüger-Brand (2009), o. S.
6 Vgl. Scheidecker et al. (2016), S. 14.
7 Vgl. DMK (2015), S. 13