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Wertschöpfungspotenzial bei ambulanten Pflegedienstleistungen

Wohnungsunternehmen unterliegen diversen Trends in einem sich verändernden Marktumfeld. Auf der Makroebene gibt es zum einen den demografischen Wandel mit Alterung und Schrumpfung der Gesellschaft und zum anderen wachsende Migrationsströme.

  • Dr. Mathias Hain
    Dr. Mathias
    Hain

Des Weiteren haben Landflucht und Urbanisierung zu einem starken Wachstum der Städte geführt. Das Thema Überalterung der Gesellschaft und der Wunsch alter Menschen, so lange wie möglich in ihrem bekannten Umfeld wohnen bleiben zu können, stellen Städte und Wohnungsunternehmen vor große Herausforderungen. Es muss für „Junge“, die in die Stadt ziehen, und für „Alte“, die da bleiben wollen, ausreichend Wohnraum zur Verfügung stehen. Die Nachfrage nach alternativen Wohnkonzepten wie Betreutes Wohnen, Wohngemeinschaften oder Generationenhäuser, in denen mehrere Generationen unter einem Dach wohnen, steigt.

Ambulanter Pflegemarkt

Im Jahr 2015 gab es in Deutschland ca. 2,9 Mio. pflegebedürftige1 Menschen. Diese wurden entweder stationär (27%) oder ambulant (73%) versorgt und betreut. Der ambulante Pflegemarkt in Deutschland wird von drei Trägerschaften bedient und hatte 2015 ein Umsatzvolumen von 12,3 Mrd. Euro. Träger sind private Anbieter mit einem Marktanteil von 65 %, freigemeinnützige Anbieter (Caritas oder Diakonie) mit 33% Marktanteil und öffentliche Träger mit nur 2% Marktanteil. Die Zahl der Pflegebedürftigen wächst nachhaltig mit 2% p.a. und der Anteil ambulanter Versorgung wird überproportional wachsen. Die Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der letzten Jahre und die Vorausschau nach Altersgruppen bis 2030.

Die Pflegestärkungsgesetze I, II und III sowie Regelungen im Sozialgesetzbuch, hier Fünftes Buch (SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung) und Elftes Buch (SGB XI – Soziale Pflegeversicherung) bilden den gesetzlichen Rahmen für die Erbringung ambulanter Pflegeleistungen. Es gibt 5 Pflegegrade, die einem Pflegebedürftigen durch die zuständige Pflegekasse zugeteilt werden können. Der Pflegegrad bestimmt den Anspruch an Leistungen und wieviel davon die Pflegekasse bezahlt. Zusatzleistungen sind vom Pflegebedürftigen privat zu leisten.

Die Erbringung ambulanter Pflegeleistungen durch Pflegeeinrichtungen ist zeit- und arbeitsintensiv. Der Bedarf an Pflegefachpersonal ist hoch und kann in vielen Regionen teilweise nicht abgedeckt werden. Damit Pflegeeinrichtungen ihrerseits attraktiv für Mitarbeiter sind, versuchen diese, die Arbeitsbedingungen (soweit möglich) arbeitsfreundlich zu gestalten, beispielsweise durch Reduzierung von Fahrtzeiten durch Optimierung von Tourenplänen. Viele Tätigkeiten der Pflege sind Hilfs- und Unterstützungsarbeiten, die nicht zwingend von Pflegefachkräften erbracht werden müssen. Dies sind Tätigkeiten der hauswirtschaftlichen Pflege oder häuslichen Betreuung, welche Hilfskräfte erbringen oder teilweise auch von den Angehörigen der Pflegebedürftigen geleistet werden.

Viele ambulante Pflegeeinrichtungen sind bestrebt, eigene Immobilien für ein „Betreutes Wohnen“ zu bauen oder Bestandsimmobilien zu kaufen und umzuwidmen. Oft scheitert dies an der Finanzierung, da Banken solche Konzepte bzw. vielmehr die Kreditnehmer nur sehr restriktiv finanzieren. Denn häufig werden ambulante Pflegeeinrichtungen noch als Einzelunternehmen und nicht als Kapitalgesellschaften geführt. „Betreutes Wohnen“ als solches entspricht keinem Sonderbau im Sinne der Bauordnung2 und gehört auch nicht zu den Heimen im Sinne des Heimgesetzes bzw. der Landesheimgesetze. Ambulant „Betreutes Wohnen“ bedeutet, dass pflegebedürftige Menschen in eigenen Haushalten (Wohnung mit Bad und Küche) leben und von Angehörigen oder einer Pflegeeinrichtung betreut werden. Pflegebedürftige haben Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, die zur Erleichterung der Pflege beitragen. Der Bund fördert sogenannte Wohnumfeld verbessernde Maßnahmen (z.B. barrierefreies Bad) mit 4.000 Euro je Maßnahme und Pflegebedürftigen. Für Wohngemeinschaften gelten ebenfalls 4.000 Euro je Maßnahme und Pflegebedürftigen, jedoch maximal 16.000 Euro je Wohngemeinschaft.3

Für eine Pflegeeinrichtung und seine Mitarbeiter ist die Arbeit für bzw. in einem „Betreuten Wohnen“ sehr attraktiv. Zum einen hat die Pflegeeinrichtung ihre Kosten besser im Griff, zum anderen profitieren die Mitarbeiter davon, dass es kaum bis keine Fahrtzeiten mehr gibt.

Handlungsoptionen für Wohnungsunternehmen

Wohnungsunternehmen können ihre Erträge steigern, indem sie je nach Gegebenheiten und Mieterstruktur geeignete Konzepte entwickeln. Um weiter langfristig einen hohen Vermietungsstand zu sichern und dem Bedürfnis alter und pflegebedürftiger Menschen nachzukommen, so lange wie möglich in ihrem „Kiez“ wohnen bleiben zu können, gibt es mehrere Handlungsoptionen. Neben dem Eingehen von Kooperationen mit Pflegeeinrichtungen wären auch eigene Pflegeeinrichtungen als Tochterunternehmen oder Joint Venture denkbare Optionen. Der rechtliche Rahmen in Deutschland ermöglicht es, dass Wohnungsunternehmen eigene Pflegeeinrichtungen gründen könnten.

Ein erster Schritt sich dem Thema zu nähern, wäre darüber nachzudenken, ein geeignetes Bestandsobjekt zu suchen und Flächen zu schaffen, die eine Pflegeeinrichtung für eine Tagespflege nutzen kann. Das bedeutet, einen Gemeinschaftsraum (Begegnungsstätte) inklusive Sanitäreinrichtungen und Küche, unter Beachtung von Brandschutzmaßnahmen, zu schaffen. Die Abbildung 2 verdeutlicht in einem Rechenbeispiel das Potenzial für ein entsprechendes Mietobjekt.

In diesem Beispiel wird angenommen, dass ein Teil der Wohnfläche zur Fläche für eine Tagespflege umgebaut wird. Für die Tagespflege wird mit ca. 18m² je Pflegebedürftigen kalkuliert. Es gibt dafür keine gesetzliche Vorgabe, dieser Wert wird aktuell bei Neubauprojekten als Basis angenommen4. Die Fläche der Tagespflege von 900m² kann vom Wohnungsunternehmen an eine Pflegeeinrichtung (Kooperationspartner) zu einem höheren Kaltmietzins von 10 Euro je m² im Monat vermietet werden. Das Wohnungsunternehmen realisiert so einen Mehrerlös von 4 Euro je m² im Monat gegenüber der klassischen Miete für Wohnen (6 Euro je m² pro Monat). Pro Jahr ergibt sich damit ein Mehrerlös von 43.200 Euro. Dem gegenüber stehen Investitionskosten von ca. 900.000 Euro, wobei für die Umbaukosten mit 1.000 Euro je m² kalkuliert wurde. Daraus ergibt sich ein Return on Investment von 4,8%.5 Dieses Beispiel zeigt, welches Potenzial sich ergibt, wenn nur ca. 15% der vorhandenen Mietflächen (900 m²) anders genutzt werden.

Wie bereits erwähnt besteht seitens der Pflegeeinrichtungen großes Interesse daran, ein eigenes „Betreutes Wohnen“ zu schaffen. Daher wird im nächsten Beispiel (vgl. Abbildung 3) gezeigt, welches Vermietungspotenzial ein Neubauprojekt als reines „Betreutes Wohnen“ für ein Wohnungsunternehmen haben kann.

Die Nachfrage nach Wohnungen in „Betreutem Wohnen“ hat in den letzten Jahren stark zugenommen und wird weiter steigen. Nachgefragt werden Wohnungsgrößen von 34 bis 42m² für 1-Zimmer-Appartments und ca. 49m² für 2-Zimmer-Appartments. Beispiele in der Praxis zeigen, dass im „Betreuten Wohnen“ höhere Kaltmieten (wie in diesem Beispiel von 2,50 Euro je m²) zu erzielen sind. Bezieht man die Einnahmen für die Fläche der Tagespflege mit ein, ergeben sich Mehreinahmen von mehr als 50% bei gleicher vermietbarer Fläche. Die Baukosten sind für beide Varianten nahezu gleich, da „Betreutes Wohnen“ in der Form keinen Sonderbauvorschriften unterliegt. Mehrkosten für zusätzlichen Brandschutz im „Betreuten Wohnen“ amortisieren sich schnell durch die zu erzielenden Mehreinnahmen.

Diese beiden Beispiele entsprechen der Handlungsoption „Eingehen von Kooperationen“, bei dem ein Wohnungsunternehmen Flächen oder ein komplettes Objekt für die Nutzung bereitstellt und an eine ambulante Pflegeeinrichtung vermietet.

In Kombination mit den zuvor beschriebenen Optionen gibt es eine weitere Option für das Wohnungsunternehmen, und zwar eine eigene Pflegeeinrichtung als Tochterunternehmen zu gründen oder zu kaufen. Zum einen können dadurch Synergien, beispielsweise im Finanz- und Rechnungswesen oder der IT zwischen den Gesellschaften realisiert werden, zum anderen erwirtschaften ambulante Pflegeeinrichtungen nachweislich zwischen 5 bis 20 % EBT-Marge. Laut einem von RITTERWALD im März 2017 durchgeführten Experteninterview, lässt sich für ambulante Pflegeeinrichtungen im eingeschwungenen Zustand als Faustformel rechnen, dass vom Umsatz ca. 70 bis 80% für Personalkosten und ca. 10 bis 15% für alle weiteren Sachkosten zu kalkulieren sind. Das bedeutet, dass eine ambulante Pflegeeinrichtung, wenn sie sich sinnvoll in die Konzernstruktur eines Wohnungsunternehmens einbinden lässt, eine weitere wirtschaftlich sinnvolle Ergänzung für das Wohnungsunternehmen sein kann.

Fazit

Dieser Überblick verdeutlicht, wie Wohnungsunternehmen dem Wunsch ihrer Mieter nachkommen können, ihr gewohntes Wohnumfeld auch im Alter nicht verlassen zu müssen. Je nach Bestand und Mieterstruktur oder bei geplanten Neubauten sollten Wohnungsunternehmen in Betracht ziehen, welche Wertschöpfungspotenziale alternative Mietobjekte durch die Schaffung von Flächen für Tagespflege oder „Betreuten Wohnen“ haben können. Im Zuge einer strategischen Quartiersentwicklung und vor dem Hintergrund weiterer Synergien könnten Wohnungsunternehmen in einem weiteren Schritt über die Gründung eigener Pflegeeinrichtungen als Tochterunternehmen nachdenken. Eine sinnvolle Kombination der beschriebenen Handlungsoptionen verspricht dabei den größten wirtschaftlichen Nutzen für Wohnungsunternehmen.

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RITTERWALD setzt den Schwerpunkt auf die Beratung der Wohnungswirtschaft sowie bei Unternehmensentwicklung und Transaktionen. Das Team „Pflege“ besteht aus Branchenexperten und wird durch funktionale Expertise aus den Bereichen Strategie, Organisation, Digitalisierung und M&A ergänzt. Sollten Sie Fragen oder Anregungen zum Artikel haben oder sich generell für das Thema Wohnungsunternehmen und ambulante Pflegeleistungen interessieren, können Sie uns gerne kontaktieren.

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  • Dr. Mathias Hain
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1 Das Elfte Buch im Sozialgesetzbuch (SGB XI) definiert die Pflegebedürftigkeit. Die §§ 14 und 15 enthalten die genauen Bestimmungen, wann ein Mensch per Gesetz als „pflegebedürftig“ gilt. Daraus ergibt sich sein Anspruch auf Pflegeleistungen.

2 Hinweis: Es ist zu beachten, dass die Landesgesetzgebungen maßgeblich sind und das im Einzelfall zu prüfen ist, welche sonstigen Vorschriften anzuwenden sind.

3 Vgl. §40 Sozialgesetzbuch (SGB XI)

4 Vgl. Zeitschrift „Häusliche Pflege“ 01/2017

5 Hinweis: Es handelt sich dabei um einen periodischen ROI, daraus resultiert eine Amortisationsdauer von ca. 21 Jahren für die Investition.